Achim stellte im Dezember 2021 vor:
Olga Tokarczuks
Gesang der Fledermäuse
Erschienen 2011 bei Schöffling und Co. Verlag
Original:
Prowadź swój pług przez kości umarłych

An Olga Tokarczuk gab es in den letzten Monaten eigentlich kaum ein Vorbeikommen: Der polnischen Autorin wurde vergangenen Oktober rückwirkend der Nobelpreis für Literatur des Jahres 2018 verliehen. In der Begründung der Akademie hieß es, sie erhalte den Preis „for a narrative imagination that with encyclopedic passion represents the crossing of boundaries as a form of life.“
Worum geht’s?
Auf einem Hochplateau im Glatzer Kessel lebt Janina Duszejko recht zurückgezogen am Rande einer winzigen Ansammlung einfacher Häuschen, die in den Sommermonaten von wohlhabenden Warschauern bevölkert sind. Sie verdingt sich im nächsten Ort als Englischlehrerin, unterrichtet jedoch nur einmal die Woche, und gibt sich ansonsten astrologischen Studien hin, widmet sich William Blake und kümmert sich außerhalb der Urlaubssaison um die Häuser der Städter. Eines Tages ist ihr Nachbar Bigfoot tot, erstickt an einem Knochen. Doch es bleibt nicht bei diesem einen Toten und Janina beginnt auf eigene Faust zu ermitteln.
Unsere Siedlung besteht aus wenigen Häusern die auf einem Hochplateau stehen, weit ab vom Rest der Welt. Ein Hochplateau ist geologisch gesehen ein entfernter Verwandter des Tafelbergs, so etwas wie dessen Vorbote. Vor dem Krieg nannte sich unsere Kolonie „Luftzug“, heute, im Polnischen, ist – nicht ganz offiziell – „Lufcug“ daraus geworden, und offiziell gibt es gar keinen Namen. Auf der Karte sieht man bloß einen Weg und einige Häuser, keine Buchstaben.
Janina Duszejko ist das, was man landläufig vermutlich als schrullige Alte bezeichnen würde: Sie lebt dauerhaft auf der windumwirbelten Hochebene Lufcug, die sonst nur von Sommerfrischlern aufgesucht wird und wo die Winter so schneelastig sind, dass man die nächste asphaltierte Straße nur zu Fuß erreichen kann. Das Leben dort oben ist schlicht und bis auf zwei weitere Nachbarn, mit denen sie keinen echten Umgang pflegt, einsam. Ihre große Leidenschaft ist die Astrologie, das Erstellen von Horoskopen. Außerdem ist sie überzeugte Vegetarierin und steht auch sonst den Tieren näher als den Menschen, deren Ignoranz und Gewaltherrschaft gegenüber der Natur sie verachtet.
Eines Tages findet ihr Nachbar Matago den einzigen weiteren dauerhaften Bewohner der kleinen Ansiedlung tot auf. Schnell steht fest, dass Bigfoot an dem Knochen eines gewilderten Rehs erstickt ist. Doch bleibt es nicht bei diesem einen Toten, weitere Männer sterben. Sie alle sind angesehene Persönlichkeiten im Ort, frönen der Jagd und haben Dreck am Stecken. Janina ist überzeugt: die Tiere des Waldes sind auf einem Rachefeldzug. Diese Überzeugung vertritt sie energisch vor ihren Mitmenschen wie vor der Polizei, doch wird dies nur als weiterer Auswuchs ihrer Wunderlichkeit abgetan.
Verübeln kann man das ihren Mitmenschen nicht, denn Janina ist eine überspannt wirkende Person. Ihre Überlegungen ordnet man auch als LeserIn anfangs als versponnen ein und der Umstand, dass sie den Menschen in ihrem Umfeld neue, sprechende Namen gibt – zum Beispiel Bigfoot –, sie außerdem unter Halluzinationen zu leiden scheint, lassen sowohl an der Zurechnungsfähigkeit als auch an der Zuverlässigkeit der Ich-Erzählerin zweifeln. Doch bald schon beginnt man zu begreifen, dass es für Janina nur eine Weise gibt, die Welt zu betrachten: kritisch. Sie mag hochgradig sonderlich sein, aber sie ist ebenso intelligent. Das zu erkennen und ihren fast schon pastoralen Ausführungen zu folgen, macht einen wesentlichen Teil des Lesevergnügens aus.
Am Ende ist aber vor allem eines sicher: der Roman ist nicht leicht in Worte zu fassen. Vordergründig ist Gesang der Fledermäuse eine Kriminalgeschichte und ohne Zweifel trägt das Buch die Züge eines Krimis, tatsächlich aber durchwandert Olga Tokarczuk gesellschaftskritische Essayistik, philosophische Abhandlungen, esoterische Überlegungen, enzyklopädische Einträge… Tokarczuks Schreibe ist ungewöhnlich und nicht klar zuordenbar. Das fordert einiges ab, ist gleichwohl aber eine spannende Leseerfahrung.
Gibt es einen Wermutstropfen?
Auf der Verlagsseite heißt es, Gesang der Fledermäuse hätte neben essayistischen, literarischen und weiteren auch komödiantische Elemente. Mir fällt es schwer, letzteres zu bestätigen. Sie sind zwar schon irgendwie vorhanden, in Form absurd komplizierter polnischer Nachnamen zum Beispiel, humorvoll fand ich den Roman deshalb allerdings nicht. Auch die sympathische Schrulligkeit der Protagonistin empfand ich letztlich eher als traurig und einsam, denn als amüsant.
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Über die Autorin
Ihre Eltern, Wanda und Józef Tokarczuk, stammten aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten, aus denen sie im Zuge der Zwangsumsiedlung von Polen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten 1944–1946 vertrieben worden waren.[2] Ihre Kindheit verbrachte Tokarczuk in der Ortschaft Klenica in der heutigen Woiwodschaft Lebus unweit von Zielona Góra, wo ihre Eltern als Lehrer beschäftigt waren. Später zog die Familie ins oberschlesische Kietrz in die Woiwodschaft Oppeln. Dort besuchte sie das städtische Liceum, das sie 1980 mit dem Abitur abschloss. Anschließend studierte sie Psychologie an der Universität Warschau. Neben dem Studium arbeitete sie als Volontärin in einem Heim für verhaltensauffällige Jugendliche. Sie schloss 1985 das Studium als Magistra ab, heiratete und zog zunächst nach Breslau um. 1986 bis 1989 arbeitete sie in der Krakauer Klinik für psychische Gesundheit. 1986 hat sie einen Sohn geboren. Die Familie zog nach Wałbrzych, wo sie bis 1996 im Methodischen Zentrum für Lehrkräfte als Psychotherapeutin angestellt war. Seit 1998 lebt sie in dem kleinen Dorf Krajanów bei Nowa Ruda in der Woiwodschaft Niederschlesien. Von hier aus führte sie von 1998 bis 2003 gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann, Roman Fingas, den Kleinverlag „Ruta“, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete.[3][4]
Sie sieht sich selbst in der geistigen Tradition von Carl Gustav Jung, dessen Theorien sie auch als eine Inspiration für ihre literarischen Arbeiten anführt. 1994 trat sie dem Verein der Polnischen Schriftsteller bei und wurde 1999 Mitglied im polnischen PEN-Club.[3] Nach 2004 war sie eine Zeit lang Mitglied der Partia Zieloni.[5]
Im Oktober 2019 gründete sie in Breslau zusammen mit ihrem zweiten Ehemann und Manager, dem Germanisten Grzegorz Zygadło, die „Olga-Tokarczuk-Stiftung“.[6] Als Kulturmanagerin der Stiftung wirkt Iryna Wikyrtschak.[7]
Im September 2020 wurde bekannt, dass Tokarczuk die ihr angetragene Ehrenbürgerschaft ihrer polnischen Heimatregion Niederschlesien abgelehnt hat, da dies „die Spaltung in Polen wegen Rechten für Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transsexuelle hervorheben“ würde, da sie zur gleichen Zeit wie der emeritierte katholische Bischof Ignacy Dec ausgezeichnet werden sollte, der „die LGBT-Bewegung als Gefahr für die katholische Kirche und Polen beschrieben“ hat.
Im Februar 2021 übernahm Tokarczuk den Jury-Vorsitz des Usedomer Literaturpreises von Denis Scheck.
Quelle:
Wikipedia